Wort zum Monat November 2004

So spricht der Herr:
Wahrt das Recht, und sorgt für Gerechtigkeit; denn bald kommt von mir das Heil, meine Gerechtigkeit wird sich bald offenbaren.

(Jesaja 56, 1)

Wenn wir von jemandem sagen, er oder sie sei ein „frommer Mensch", dann haben wir in aller Regel ein bestimmtes Bild vor Augen: still, zurückhaltend, betend, in der Bibel lesend, am Sonntag im Gottesdienst. In den Augen der meisten Menschen ist die Eigenschaft „fromm" nichts Erstrebenswertes. Aber das ist ein Klischee.
Wie ganz anders das „Original" eines frommen Menschen, so wie es im Monatsspruch für den November 2004 beschrieben wird. Fast zweieinhalb tausend Jahre alt und brennend aktuell: Wer fromm ist, der wahrt das Recht und sorgt für Gerechtigkeit.
Damals traf dieses Prophetenwort ein Volk, dass müde geworden war bei dem Wiederaufbau eines zerstörten Landes und in dem die Solidarität mit der Gemeinschaft zunehmend in den Hintergrund getreten war. Heute trifft dieses Prophetenwort uns in Zeiten zunehmender Entsolidarisierung und Individualisierung. Es trifft uns in „Geiz-ist-geil" - Zeiten und bei dem Versuch, wenigstens den Standard zu halten, den wir individuell und als eines der reichsten Länder dieser Erde erreicht haben.
„Wahrt das Recht und sorgt für Gerechtigkeit!"
Recht und Gerechtigkeit - das ist mehr, als dass jede und jeder das bekommt, was ihm oder ihr zusteht. Das ist mehr, als dass alle gleich behandelt werden. Recht und Gerechtigkeit - das heißt: die Gemeinschaft achtet darauf, dass nicht ein Mitglied, eine Teilgruppe der Gemeinschaft zu kurz kommt. Das klingt theoretisch - aber das kann ganz schnell „handfest" werden, wenn wir auf die aktuellen Fragen in Politik und Gesellschaft schauen und fragen, wo „Recht und Gerechtigkeit" gefordert sind im Handeln und im Entscheiden:
- Ist es recht und gerecht, wenn zukünftig alle, völlig unabhängig vom Einkommen, den gleichen Betrag für ihre Krankenversicherung zahlen sollen ?
- Ist es recht und gerecht, wenn Kinder mehr denn je ein „Armutsrisiko" sind?
- Ist es recht und gerecht, dass Manager mit Millionengehältern Fehlentscheidungen treffen können und die Beschäftigen anschließend um ihren Arbeitsplatz bangen müssen?
- Ist es recht und gerecht, wenn alte Menschen, die ihre Leben lang gearbeitet, Sozialversicherung gezahlt und zudem noch Kinder versorgt haben, nun nur noch im Halbminutentakt gepflegt werden können?
- Ist es recht und gerecht, wenn wir unseren Kindern und Enkelkindern eine Verschuldung hinterlassen, deren Summe jede Vorstellung übersteigt?
„Wahrt das Recht und sorgt für Gerechtigkeit!"
Als Evangelische Kirche haben wir die Aufgabe, zu mahnen und zu erinnern. Als Christ bin ich gefordert, mein Verhalten, meine Einstellung zu überprüfen. Und dann mich einzubringen in die Diskussion, streitbar und couragiert. Aber immer in dem Wissen, dass ich nicht für mich streite, sondern auf der Suche und im Streben nach Recht und Gerechtigkeit - und so eine „frommer Mensch" bin.
Arend de Vries






Arend de Vries
Landessuperintendent im Sprengel Calenberg-Hoya

Homepage: Sprengel Calenberg-Hoya

Die Meditationen wurden veröffentlicht im Rahmen der
Homepage der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover.
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