Wort zum Monat Oktober 2007

Wer bemerkt seine eigenen Fehler? Sprich mich frei von Schuld, die mir nicht bewusst ist!

(Psalm 19, 13)

Wieder einmal blättert er in der Bibel. Ein wenig ziellos zwar, aber doch mit Interesse. Schließlich bleibt er stecken. Seine Augen blicken wie gebannt auf einen Bibelvers. Der spricht von eigenen Fehlern. „Ich doch nicht", schießt es ihm in den Kopf. Die Schnelligkeit dieser Gedanken macht ihn stutzig. „Die anderen ja, aber ich ...", die Stelle berührt ihn. Zu dem „Ich doch nicht" gesellt sich ein „Ich vielleicht auch? Aber darf ich das denn zugeben?"

Solange hat er noch nie eine Bibelstelle immer und immer wieder gelesen. Langsam gewinnt das „Ich vielleicht auch?" Es wird zum „Ich vielleicht auch." Zuerst fällt ihm nicht leicht, sich das einzugestehen. Lebt er doch in einer scheinbar perfekten Welt. Wie passt sein „Ich vielleicht auch" dort hinein?

Stirnrunzeln. Das am Morgen schon. Das Frühstück ist fertig. Der Kaffee gekocht. Selbst als er die Tasse anhebt fällt es ihm ein: „Ich vielleicht auch." „Mutig, dass das damals einer aufgeschrieben hat", denkt er. Aus dem „Ich vielleicht auch." ist ein „Ich auch" geworden. Er fühlt sich auf mysteriöse Art und Weise mit dem Psalmbeter verbunden. Und das tut ihm gut, so früh am Morgen.

Er setzt die Kaffeetasse ab, kippt noch ein wenig Milch hinein. Fast wäre sie auf der Untertasse gelandet. Er denkt nach.

Den zweiten Teil liest er noch einmal: „Sprich mich frei von der Schuld, die mir nicht bewusst ist." Er wird unsicher. „Ich bin mir keiner Schuld bewusst", schießt es ihm durch den Kopf. Doch wie oft hat er diesen Satz gehört oder gelesen. Er denkt nach. Einiges fällt ihm ein, wo er doch vielleicht anders hätte reden und denken sollen. „Aber das ist doch keine Schuld, denn Schuld sind immer die anderen." Wieder sind seine Gedanken bei den anderen. Nicht bei ihm selbst. „Eigene Schuld zu sehen, das ist schwer. Ich versage doch nicht. Ich nicht."

Er nippt an der Kaffeetasse. Der ist inzwischen kalt und schmeckt scheußlich.

„Versagen und Schuld: Der damals war aber mutig, davon zu schreiben." Er denkt darüber nach, warum fällt ihm „versagen" ein, wenn er „Schuld" liest? „Geht es denn überhaupt, schuldlos zu sein? Wäre ich dann nicht Gott selbst?" Er überlegt. „Natürlich bin ich nicht Gott selbst, aber Gottes Ebenbild. Ein Ebenbild, das sich bemüht. Aber eben nicht perfekt ist. Das darum anderen immer etwas schuldig bleibt."

Er versteht nun den Psalmbeter und sich selbst. „Wenn ich nicht perfekt bin, mache ich Fehler, verletze damit vielleicht andere, ohne es zu wollen."

Nun sind seine Gedanken ganz bei sich selbst. „Sprich mich frei von Schuld, die mir nicht bewusst ist!" Die Worte tun ihm gut. Hoffentlich kann er sie behalten über den Tag. Er fühlt sich etwas leichter als zuvor.

Er schlägt die Bibel zu. Er steht auf. Gießt den kalten Kaffee in den Ausguss und geht. Pastor Andreas Schmidt






Andreas Schmidt
Pastor in Sehnde
Homepage: Kirchengemeinde Sehnde

Die Meditationen wurden veröffentlicht im Rahmen der
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