Der Sonntag war diesmal
furchtbar. Es war der dritte Advent, und Johanna und Herrmann waren wie immer
in der Kirche gewesen. Ein Familiengottesdienst. Und da ging es eben auch
um Familie, das Fest der Liebe, der Kinder, Idylle eben. Johanna und Herrmann
gingen schweigend nach Hause. Der Pastor hatte so viel erzählt von
Beisammensein und Töchtern und Müttern und Vätern und
Söhnen. Zu Hause war es still und kalt. Sie hatten vergessen, die Fenster
nach dem Lüften zu schließen. Johanna ging gleich in die Küche,
um Essen zu machen, Herrmann setzte sich und las noch einmal die Zeitung
von gestern.
Familie. Das war jetzt vorbei. Damals konnten sie keine Kinder haben, heute
hatten sie auch keine Enkel, die am Sonntag zum Essen kamen, zu Oma und Opa.
Der Tisch wäre auch viel zu klein, Johanna hatte schon gedeckt. Keiner
sagte etwas. Wozu? Sie dachten ja doch dasselbe. So würde es wohl auch
die ganzen Feiertage über sein. Johanna, Herrmann und der kleine Baum
in der Ecke, wo sonst sein Sessel stand. Es war einfach zu ruhig. Am Nachmittag
kam Käthe vorbei zum Kartenspielen.
Dann war Dienstag. Herr Pfennig war außer sich über die Tatsache,
daß am Samstag nicht genügend Geschenke dagewesen waren. "Ja,
Herr Kaddig, das war natürlich nicht ihre Schuld, da hat Fräulein
Vollbrecht nicht genügend eingepackt. In Zukunft legen wir immer noch
eine Kiste mit einem Notvorrat dazu, für alle Fälle. Aber sie haben
ja das Beste daraus gemacht, dem Schmidt von der Apotheke muß ich auch
noch danken. Gut, Herr Kaddig, dann machen sie mal weiter. Kaufen geht durchs
Herz, Herr Kaddig! Prächtig, prächtig ..." und weg war er wieder.
Dann lief alles wie immer. Gegen halb sechs kamen zwei Kinder mit ihrer Oma
in die Passage. Die Oma klopfte sorgfältig die Jacken ab, draußen
schneite es wieder sehr stark. Oma? Dieser Mantel, die weißen Haare,
das war keine Oma, das war Johanna!
© M.B. 1997