Ein paar Tage waren
vergangen. Weihnachten rückte näher, und Routine hatte sich bei
Herrn Weihnachtsmann Kaddig eingestellt. Dienstag, Donnerstag und Samstag,
wenn seine Frau arbeitete, beschenkte er große und kleine Kinder in
der noblen Passage. "Kaufen geht durch's Herz!" Diesen fürchterlichen
Spruch bekam er ständig zu hören. Und Herr Kaddig war herzlich,
wo er nur konnte. Für jedes Kind hatte er ein offenes Ohr, die großen
Probleme der Kleinen und auch die kleinen der Großen: "Entschuldigen
Sie, wo ist hier die Wächeabteilung?". Nun war schon der 7. Dezember,
und da vielen der gestrige Tag noch im Gedächtnis war, hatte Herr Kaddig
nun außer auf "Weihnachtsmann" auch auf "Nikolaus" zu hören. Er
lernte viele Leute kennen. Besonders die Kinder kamen beinahe täglich,
um dem gutmütigen Weihnachtsmann immer wieder ein kleines Geschenk zu
entlocken. Überhaupt - dieses stetige Greifen und Haschen nach immer
mehr und immer wertvolleren Dingen fiel doch schon sehr auf. Die Leute hasteten
von einem Geschäft in das andere, um all' die neuen, besseren und teureren
Sachen zu kaufen. Je teurer, desto besser, und je nutzloser, desto schneller.
Nein, so konnte sich Herr Kaddig nicht an seine Weihnachten erinnern. So
war es nicht all' die Jahre. Na ja, Johanna und er hätten auch gar nicht
die Möglichkeiten gehabt, sich so zu überschenken. Aber sie hatten
es auch nicht vermißt, am Heiligen Abend. Sie konnten alle Weihnachtslieder
auswendig, saßen im dunklen Zimmer um den erleuchteten Baum und genossen
diese einmalige Atmosphäre, die mit ruhiger Musik, sachte flammenden
Kerzen und typischen Düften aufkommt. Und damals, abends in der warmen
Dorfkirche, alle Bekannten kamen festlich zusammen, um zu singen, zu hören,
zu beten. Damals waren noch Vater und Mutter dabei. Die Kinder alle, seine
Geschwister, so gut es eben ging in den besten Kleidern, und dann zu Hause
die Stube, das außergewöhnlich gute Essen. Die unglaubliche Spannung
auf die Bescherung: ein wiederhergerichteter Pullover, ein paar Äpfel
und Nüsse - vielleicht Schokolade, und die Freude war groß. Dann
wieder Singen und Freuen über die neuen Sachen, die man bekommen hatte.
So hatten es Johanna und er auch immer gehalten in all' den Jahren. Sie hatten
ja keine Kinder, also jetzt auch keine Enkelkinder - ein bißchen einsam
war es ja schon...
"Ach, entschuldigen Sie, wo ist hier bitte ein Telefon? Mein Handy streikt..."
Der junge Mann stand etwas hilflos mit seinem Handy in der einen, der Aktentasche
in der anderen Hand vor dem stattlichen, wenn auch noch etwas verträumten
Weihnachtsmann. "Dort hinten auf der rechten Seite, mein Herr! Und frohe
Weihnachten wünsche ich Ihnen!" "Ja, ja, frohe Weihnachten." kam es
leise zurück, und da war der Mann auch schon im Gewimmel der vielen
Menschen verschwunden.
© M.B. 1997