Johanna kam gerade
aus der Küche in die Halle, als die beiden Kinder von der Schule nach
Hause kamen. "Oma Hanna, Oma Hanna! Wir haben heute eine Krippe gebastelt!"
Innige Umarmungen gingen dem Bestaunen der Meisterwerke voraus. Lisa und
Tim gingen in die dritte Klasse - zusammen, obwohl sie eineinhalb Jahre
auseinander waren. Wie immer war ein großer Hunger zu stillen, und
da war es den beiden ganz recht, daß Oma Hanna heute da war, denn Mama
war längst nicht so gut im Kochen. "So, nun geht in eure Zimmer und
macht Eure Aufgaben!" forderte Johanna Tim und Lisa auf, als sie auch den
Nachtisch restlos verputzt hatten. "Ich habe aber keine Lust dazu! Wir wollen
raus, es liegt Schnee. Wir hatten noch keinen Schnee!" kam die Antwort. Na,
die klassische Situation. Johanna wurde etwas fester: "Ihr wißt doch,
erst die Aufgaben, dann nach draußen, Mama und Papa werden sonst wieder
böse!" Schließlich ging es - wie immer. Ganz schnell die paar
Sätze und Aufgaben und dann hinaus in den Schnee. Manchmal wünschte
sich Oma Hanna, auch eigene Kinder gehabt zu haben ...
Es war halb neun. Lisas und Tims Eltern kamen nach Hause. Johanna hatte das
Abendessen für sie schon fertig, die Kinder waren im Bett. Man legte
ab und nahm Platz. "Ach, Johanna, das sieht ja wieder gut aus!" Johanna wurde
wieder nervös. Wie lange würde es wohl dauern, bis ...
"Petra, gibst Du mir bitte das Brot?" ... Johanna gab sich immer die
größte Mühe, daß beim Abendbrot alles stimmte, damit
ja kein Grund aufkam, daß die beiden ... "Du, Lisa, war heute morgen
schon wieder so spät dran. Ich bin deswegen zu spät mit dem Termin
beim Bauamt ... Du wolltest sie doch extra früher wecken, sie braucht
ja immer so lange!" "Aber heute morgen wolltest Du doch - ich mußte
doch schon so früh ins Büro!" "Eben deshalb hättest Du doch
... "
Und da ging es los. Das Gratin hätte so gut sein können, wie es
wollte - die Wogen überschlugen sich wieder. Zum Glück war es schon
fünf nach Neun. Johanna warf kurz in das heftige Gespräch ein,
sie ginge nun. Das war auch egal. Als sie draußen war, sah sie, wie
Licht in den Zimmern der Kinder anging.
Es fröstelte sie, und sie zog den abgewetzten Mantel fester zusammen.
Der Bus kam zu spät, sie verpaßte die U-Bahn. Um elf war sie zu
Hause und klagte ihrem Mann ihr Leid und das der Kinder. Sie kamen überein,
daß es wie überall an Zeit und Liebe - und Zeit dafür
fehlte!
© M.B. 1997