Beim Frühstück
kam es heraus: Sie würde früher nach Hause kommen! Herr Kaddig
hatte für diesen schlimmsten aller Fälle vorgesorgt. "Ach, Hanna?"
So nannte er sie immer, wenn er sie in Sicherheit wiegen oder etwas von ihr
wollte. "Hanna, heute nachmittag in Fronfeld, da treffen sich die
Streckenarbeiter in der Bahnklause. Willi hat angerufen und gefragt, ob ich
auch dabei sein könnte. Sie zeigen wieder Fotos von meiner Strecke damals.
Na ja, ein Bier zusammen und so ein bißchen erzählen von damals
- nicht auf dem Ehemaligentreffen, sondern nur wir. Willi und die anderen
..." Und? Nimmt sie es ihm ab? "Ach, Willi! Den haben wir ja schon ewig nicht
gesehen. Das ist ja schön!" Herr Kaddig war steif vor Aufregung. Hatte
er zu dick aufgetragen? "Na, Herrmann, dann muß ich wohl heute abend
allein essen ..." Den Rest hörte er gar nicht mehr, die halben Alpen
fielen ihm vom Herzen. Seine ehemaligen Kollegen waren als Ausrede also jetzt
schon verschossen. Beim nächsten Mal würde es nicht mehr so
leicht.
Sein Tag als Weihnachtsmann verlief wie immer. Wuselige Menschenscharen zur
Adventshalbzeit. Nur noch zwölf Tage. Der Filialleiter, übrigens
mit dem passenden Namen Pfennig, war äußerst zufrieden mit Herrn
Kaddig. "So einen guten Weihnachtsmann hatten wir schon lange nicht mehr.
Wirklich, Herr Kaddig, ich bin sehr zufrieden mit Ihnen. Manche Leute kommen
nur Ihretwegen hierher. - Nein, wirkllich, nicht so bescheiden, Herr Kaddig.
Sie sind eine richtige Bereicherung!" Die Sekretärin nickte zustimmend.
Herr Pfennig stellte dem Weihnachtsmann einen zusätzlichen Bonus in
Aussicht - ein Geschenkgutschein für die Läden der Passage. Er
bedankte sich.
Bald war Feierabend, dann würde er langsam nach Hause fahren und von
dem Treffen in Fronfeld berichten, schöne Grüße von Willi
ausrichten. "Frohe Weihnacht, Herr Nikolaus!" Na sowas. Der junge Mann. Heute
sah er traurig aus und unausgeschlafen. "Frohe Weihnachten!" grüßte
Herr Kaddig zurück. Der junge Mann zögerte und setzte sich auf
eine der schönen Bänke. Er stellte seinen Koffer langsam neben
sich und sah aus, als wollte er etwas sagen. Sie guckten sich an, der
Weihnachtsmann kam ihm zu Hilfe und fragte: "Wie geht es den Kindern?" und
setzte sich daneben. Der junge Mann schien erleichtert. "Oh, die haben sich
sehr gefreut über die Geschenke ..." Und er kam ins Reden. Zögerlich,
aber Herr Kaddig brauchte gar nichts zu sagen. Es ging um das Wetter, das
Problem im Einzelhandel, die Renten - und da konnte Herr Kaddig ja nun auch
etwas zu sagen. Jansen hieß der junge Mann, alte Geschäftsfamilie,
im Ausland studiert, Internate besucht, Vater und Mutter waren kaum zu Hause.
Nun, die typische Geschichte eben. Er hatte nichts Besonderes erzählt
oder sich von der Seele geredet, schien aber sehr erleichtert, als er
plötzlich aufstand, den Aktenkoffer nahm und gehen wollte. "Entschuldigen
Sie bitte, ich kenne Sie ja eigentlich kaum, aber Sie hörten so gut
zu ... Du meine Güte, schon eine halbe Stunde! Ich muß jetzt wirklich
gehen." Der Weihnachtsmann gab ihm noch zwei Tafeln Schokolade mit, für
die Kinder. "Keine Ursache!"
© M.B. 1997