Samstag morgen. Herr
Kaddig war sich gar nicht mehr so sicher, ob er es wirklich wagen sollte,
die Ausübung eines Teilzeitberufes neben seiner Tätigkeit als Rentner
vor seiner Frau zu verheimlichen. Sie kannten sich nun schon seit 55 Jahren,
und seit 46 Jahren waren sie verheiratet. Johanna kannte ihren Herrmann -
sie wußte, was er wann dachte, wie er sich verhielt, wenn er etwas
verheimlichen wollte. Und Herrmann wußte, daß Johanna das
wußte. "Mein Gott, Herrmann, was machst Du denn da? Gib doch Acht...!"
Aber da war es schon passiert, der Kaffee quoll über das Zwiebelmuster,
Tasse, Untertasse, Tischdecke, Hose und Küchenfußboden, Hausschuhe.
"Och Herrmann, diese Sauerei, nein, das so kurz vor der Arbeit. Ich muß
doch gleich los, ach Herrmann, wo bist Du bloß mit Deinen Gedanken,
und so nervös..." Herrmann ließ wortlos die Pantoffeln im Kaffee
zurück und ging, sich eine frische Hose anziehen. Hoffentlich merkte
Johanna nichts - manchmal war sie entwaffnend scharfsinnig, wenn sie sich
über ihn ärgerte. Als er zurückkam, war natürlich schon
alles wieder tip-top. Johanna - schon in ihrem schwarzen Kleid mit der feinen
weißen Spitzenschürze - leerte gerade den Eimer und wrang den
Putzlappen aus. "Also wirklich, Herrmann, ich weiß nicht, was mit Dir
los ist, den ganzen Morgen schon!" "Ich...", setzte er zu einer Erklärung
an, besann sich aber eines Besseren. Ihm wäre nichts Plausibles eingefallen,
und für Johanna mußte es schon plausibel sein - sonst käme
es noch schlimmer. "Daß Du wieder nichts dazu sagst, war mir ja klar
- denke wenigstens an die Feier bei Krensmann heute abend - ich komme direkt
von der Arbeit dorthin. Um sechs, klar? Und zieh Dir was Vernünftiges
an!"
Krensmann!!! Das hatte er vergessen. Heute war ja verkaufsoffener Samstag
- bis sechs, sein erster Tag. Herr Kaddig bemühte sich, sich nichts
anmerken zu lassen, der Schreck dieser späten Erkenntnis saß tief.
"Na, was guckst Du denn so begossen drein, ich habe auch nicht die
größte Lust dahin, aber es war schließlich Dein Kollege.
Also bis heute Abend!" Damit war sie schon zur Türe raus. Von unten
schallte es dann noch: "Und sei mir ja pünktlich!" - Und das gleich
am ersten Tag.
© M.B. 1997